Wie ich Museumsdirektor wurde

oder: Wie ein motorradnarrischer Bub seinen Lebenstraum erfüllte

Im Wien der Kriegsjahre geboren, war ich, seit ich denken kann, von Zweirädern fasziniert, wenngleich die Möglichkeiten zur libidinösen Fehlentwicklung beträchtlich waren. Denn vom Panzer bis zur Baumaschine, vom LKW übers Auto bis zum Traktor stand mir ja die ganze Motor-Welt offen. Natürlich gab es in den 1970ern eine Zeit der sammlerischen Bisexualität, mit einem kräftigen Krankheitsschub in Form von etwa dreißig alten Automobilen. Aber dieser Virus ist endgültig tot. Nicht, dass ich jetzt homosexuell wäre, nein, was mich nun antreibt, ist die pure Lebens-Freude an der Verkündung der reinen Zweiradlehre!

Doch auch hier lauerten stets Krankheitskeime mit beachtlichem Suchtpotential: der frühkindlichen Erstinfektion mit einem selbst aus Kriegsgerümpel geborgenen Fahrgestell ohne Motor und Bereifung folgten chronische Ansteckungen durch das erste richtige österreichische Moped – nämlich die „Foxinette“ meines Onkels, die ich zum Fahren heimlich auf Weinviertler Feldwege verschleppte; oder auch durch die schwere Beiwagenmaschine meines Vaters, die er als Kolonialwaren- und Zeitungszusteller fuhr und die ich bereits als Zwölfjähriger in Wien von Trafik zu Trafik lenken durfte.

Im weiteren Krankheitsverlauf dann das erste eigene, vom Geld als Ferialpraktikant heimlich gekaufte Puch MS 50 Moped, das aber von einer Kundin meiner Mutter „verraten“ wurde; die erste Puch SGS, ein Vollwrack vom alten Heinisch aus der Praterstraße; und dann, in der Quellenstraße, der wegweisende Kontakt mit dem „Motorradbanler“ Weywar. Mitte der 1950er sah ich hier aus dem Nebel meiner kindlichen Motorradnarrischigkeit, die unter der Führung meines Großvaters ihren frühesten Kristallisationspunkt im „Motorradkabinett“ des Technischen Museums gesucht hatte, ein erstes Ziel, das am treffendsten mit dem Wort „Aufheben“ zu beschreiben war. Sogar in der Schul-Mittagspause war ich Stammgast beim Weywar, inhalierte den öl/benzingeschwängerten Duft seiner Lagerräume und ließ mich von der geschichtsträchtigen Patina des Motorrad-Alteisens gefangen nehmen.

Zur Matura gab es das alte Motorrad meines Vaters, eine Brough Superior SS 80, Baujahr 1927. Seine Worte: „Bua, pass dir gut drauf auf, das is‘ was ganz Besonderes.“ Natürlich, denn George Brough im englischen Nottingham hatte nur rund 2.000 Motorräder in 20 Jahren gebaut. Jedes ein Juwel, das u.a. auch von Colonel T. E. Lawrence, besser bekannt als „Lawrence von Arabien“ gefahren wurde. Die Folgezeit als Welthandel-Werkstudent war bereits von mehreren Motorrädern dominiert. Und zwar von einer Puch 175 SV für alle Tage, einer Matchless G 80S für die Wochenenden und von meinem ersten „Fahr-Veteran“, einer New Hudson 500 E aus 1927. Dieses und viele andere alte Vehikel habe ich in den 1960ern und frühen 70ern ganz einfach auf dem offenen Land gefunden: nachgefragt bei Wirten, ob es denn da im Ort noch alte Maschinen gäbe, alte Leute befragt. Oft bin ich tatsächlich fündig geworden, viel öfter jedoch nicht.

Ja, und Gleichgesinnte hat es vereinzelt auch bald gegeben, wie den Bischof Martin, die Holy-Brüder, die Grigars oder den Latro Willy – lauter Urgesteine der Motorrad-Sammlerei in Österreich. Vom „Österreichischen Motor Veteranen Club“, dem damals einzigen Verein, der sich mit Altfahrzeugen befasste, kam eines Tages die Anfrage, ob ich denn nicht eine Motorradsektion ins Leben rufen wolle. Ich wollte, und seither fuhren auch alte Motorräder bei der „Donaupokal-Rallye“, der Jahresveranstaltung des ÖMVC, mit.

Ab Mitte der 1960er hatte sich bei mir bereits eine beachtliche Anzahl von rund dreißig historischen Maschinen angesammelt – für die es keinen Platz gab. So organisierte ich alte LKW-Plachen und stellte darunter die Motorräder im elterlichen Garten ab, in einem nicht gerade als Slum bekannten Wiener Bezirk … zum Entsetzen meiner Mutter und der Nachbarn, aber mit stiller Duldung des Vaters. Dazu bekam ich von einem Clubkollegen, der Realitätenvermittler war, immer wieder die Möglichkeit, meine Maschinen in Abbruchobjekten unterzustellen, bis auf Widerruf. Der kam meist zur Unzeit: im Tiefwinter, bei Sommerhitze, unter Zeitdruck etc., oder ich räumte das Lager, weil es bestohlen worden war.

Doch all diese Widrigkeiten taten meiner Liebe zu alten Motorrädern keinen Abbruch. Ich hatte inzwischen den Lehrberuf ergriffen und war an der Berufsschule für KFZ-Technik in Wien tätig geworden. Die Maschinenanzahl hatte die ersten Hundert überschritten, das Projekt „Felsenkeller“ in Brunn/Gebirge, das die ideale Lösung der Platzfrage hätte bringen sollen, löste sich in Rost, Schimmel und Moder auf. Als Mitte der Siebzigerjahre auch noch Automobile dazu gekommen waren, wurde der Umzug aufs Land unausweichlich. Endlich dann ein Stadel im Waldviertel, gut, aber meilenweit von einer Ideallösung entfernt.

In dieser Zeit, als es bereits eine durchaus beachtliche Sammlerszene gab und die ersten – inzwischen längst wieder pleite gegangenen – privaten Automuseen eröffnet worden waren, ließ mich mein Kindheitstraum vom eigenen „Motorradkabinett“ nicht mehr los. Ich startete ebenso groß angelegte wie letztendlich erfolglose Aktionen zur Gründung eines „Ersten Österreichischen Motorradmuseums“, vom Mietobjekt in Achau bei Wien, über Gemeinschaftsprojekte nahe Mistelbach an der Zaya und in Drosendorf bis zum Kauf eines Schlosses in Oberstinkenbrunn oder einer alten Schmiede im Waldviertel. 1980 dann endlich der entscheidende Hinweis meines damaligen Berufsschuldirektors Alfred Klampfer, dass in Eggenburg ein ehemaliges Fabrikobjekt nach dem Auszug der dortigen KFZ-Berufsschule leer stünde.

Im Sommer 1980 war ich mit den Eggenburger Stadtvätern so weit übereingekommen, dass sich mein Traum vom ersten reinen Motorradmuseum in Österreich erfüllen konnte. Mit rund 150 Motorrädern und artverwandten Fahrzeugen wurde in zwei Räumen des Gebäudes der Probebetrieb aufgenommen, im Laufe der Jahrzehnte wuchs der Museumsbestand auf 300 Fahrzeuge und 200 Marken an, die 100 Jahre Motorradgeschichte repräsentierten. Knapp vor der Jahrtausendwende wurde die internationale Bedeutung meiner Sammlung durch die Teilnahme mit einem Laurin & Klement-Motorrad, Baujahr 1904, an der Ausstellung „The Art of the Motorcycle“ im Guggenheim-Museum in Bilbao/Spanien gewürdigt.

Dieser Text stammt aus dem autobiographischen Manuskript „Mein Leben auf zwei Rädern“ von Fritz Ehn, 2005.